Frankfurter Rundschau
30.7.2003



Linkes Ufer
Clara Moreau am Main


Von Annette Becker

Manche erinnert ihr Gesicht vielleicht an Gianna Nannini. Manche vielleicht auch an Juliette Binoche. Aber sobald die französisch-spanische Chansonnière und Akkordeonistin Clara Moreau ihren grossen Mund zum Singen auftut, passt eigentlich nur noch ein einziger Vergleich. Den man dennoch scheut, weil er vermessen wirkt und ausserdem nicht sehr originell. Aber was bleibt einem schon übrig, wenn eine winzige Person mit schluchzendem Arme-Leute-Klavier durch die Reihen im Comedia Mundi Theaterzelt schreitet und einen ohne Vorwarnung mit ihrer riesigen Stimme fast vom Sitz fegt?

Eben. Nur dass Clara Moreau bedeutend gesünder aussieht als Edith Piaf. Die Moreau mit ihrem koboldhaften Charme kann trotz ihres mal gefährlich angerauhten, mal hauchzart tremolierenden tiefen Mezzo-Soprans mehr als Herzeleid im grossen Stil. Sie kann auch: tragikomisch, ironisch, international. Kubanisches flocht sie ein, Brasilianisches, knallte munter mit Konsonanten in Boby Lapointes Ta Katie t'a quitté. Verschmitzt besang sie Boris Vians Onkel, den Atombombenbauer, klagte mit Charles Aznavour um die dahinscheidende Mama, schweifte mit Jacques Brel durch Amsterdam und liess auch Georges Brassen's Philister sowie Jacques Brels Bourgeois nicht unerwähnt.

Nur mit einem Solo für die linke Hand begleitete Moreau sich bei Brels Ces gens-là, wie im übrigen auch auf ihrer gleichnamigen CD, obwohl sie diese eigentlich mit ihrem Trio aus Pianist Marino Bernasconi, Cellist Andreas Ochsner und Schlagzeuger Mario Marchisella eingespielt hat. Aber wer schon im zarten Alter von elf Jahren Schülerin von Max Albert war, einem Begleitmusiker der Piaf, weiss einfach, wie man ein Akkordeon so zum Singen bringt, dass alles andere zuviel wäre.

Mitsummen und Mitsingen war allerdings erlaubt und wurde mehrfach ausdrücklich erbeten. Natürlich nicht bei Skurrilitäten wie Leo Ferrés Rimbaud-Vertonung Les assis, sondern bei bekannten und beliebten Hymnen wie La bohème, dem einzigen überlebenden Chanson aus Charles Aznavours erfolgloser Operette Monsieur Carnaval.

Tags darauf fiel die "Nuit de Chanson française" am nördlichen Mainufer wegen Unwetterwarnung ins Wasser. Für die Glücklichen, die auf der anderen Mainseite bei Clara Moreau gewesen waren, lag Frankfurt trotzdem einen rot- und apfelweinhaltigen Abend lang an der Seine.